Transkript: #10 Soziales Leben und Freizeit

Marcel Anderwert

Wir sind hier an einem Ort, wo die ersten grösseren Textilfabriken der Gemeinde entstanden sind. Um 1850 produzierte Johannes Zähner in der ehemaligen Fabrik am Ende der Strasse anfänglich noch Leinenstoffe. Bald wurden die Webstühle durch Handstickmaschinen ersetzt. Bereits 23 Jahre später musste vergrössert werden. Er baute nebenan auf dem Areal südlich, dort, wo heute das Einfamilienhaus und der Gewerbebau stehen, eine dreigeschossige Fabrik mit insgesamt 36 Handstickmaschinen. 72 Jahre hatte diese Fabrik bestand, dann wurde sie 1945 abgerissen. Die damaligen Besitzer konnten sie nach Waldstatt verkaufen, wo sie wiederaufgebaut wurde. Mit dieser Fabrik verbunden war auch eine Ausschneiderei, die von Hand angetrieben werden musste. Dabei erlebte Zähner immer wieder, dass durch diese eintönige Arbeit auch die besten Leute plötzlich einschliefen. Dies brachte ihn auf die Idee, die Wasserkraft des Holderenbachs auszunützen, was durch den um 1855 erfolgten Bau der sogenannten «Uusschniidi» (heute das Gründerhaus Waldheim) und eines Turbinenhauses verwirklicht wurde. So konnte die monotone Arbeit automatisiert werden. Zu diesem Fabrikbetrieb gehörte auch das Fabrikantenhaus Nr. 33 bei der Standorttafel an der Strassenkreuzung. In der Fabrik produzierte Hans Solenthaler bis vor kurzem noch textile Bänder. Hans, wie war die Arbeitsatmosphäre und das soziale Leben in deiner Fabrik?

Früher war das Arbeitstempo in den Fabriken viel gemächlicher. Natürlich war man immer dran und musste auch länger arbeiten, aber Stress gab es viel weniger. Bei uns hat man zum Beispiel am Montag nach der Landsgemeinde mit jenen Männern, die überhaupt zur Arbeit erschienen sind, vorerst einmal die Fabrik geputzt. Einige wären auch noch nicht fähig zum Arbeiten gewesen! Die Frauen halfen dabei auch noch ein wenig mit. An jenen Montagnachmittagen fand die «Narrengemeide» statt und die Feuerwehrübung. Das ging schon um zwei Uhr los, nicht wie heute, erst um vier oder sechs Uhr. Bis am Dienstag waren dann alle wieder einigermassen arbeitsfähig.

Nun haben wir viel über die Arbeiten der Sticker gehört. Aber bestimmt hatten sie auch Freizeit. Erna Fischer, die Tochter eines Stickers, erzählt von einem typischen Sonntag in ihrer Stickereifamilie:

Ich durfte mithelfen, die Tret-Nähmaschine der Mutter abzustauben, zum Schutz der Maschine mit einem Holzkasten zu versehen und das Ganze mit einem Tuch zuzudecken. Ich erinnere mich, wie mein Bruder jeweils gesagt hat, dies sei das Zeichen, dass es Sonntag ist. Auf den Stubentisch, den die Mutter nun auch nicht mehr fürs Arbeiten brauchte, legte sie das Tischtuch. Das war für uns Sonntag. An den Sonntagnachmittagen machten wir jüngeren Geschwister mit dem Vater oft Spaziergänge. Wir sind dann in der Wirtschaft zum Gupf eingekehrt, weil meine Eltern Oertles gekannt haben (die Gupfwirte). Es war immer sehr gemütlich gewesen; wir konnten schaukeln und spielen, und bevor wir heimkehrten, kauften die Eltern noch Gupfkäse.

Jeanne Devos

Jetzt, wo wir das Dorf mit Ihnen durchwandert haben, wird mir wieder bewusst, wie die Textilgeschichte im Dorf noch präsent ist, wie vieles im Dorf an persönliche Geschichten und Erlebnisse erinnert. Für die Menschen war das Leben nicht immer einfach: Abhängigkeiten von den Fabrikanten, Wirtschaftskrisen, schlechte Nebenerwerbsmöglichkeiten, Kinderarbeit und schlechte Verkehrswege. Man hat sich damit arrangiert, aber nicht immer wohl gefühlt. Nicht alle Leute im Dorf erinnern sich gerne an diese Zeit zurück. Heute hat die Verlagerung der Textilproduktion ins Ausland längst stattgefunden und die Bevölkerung ist in einer Vielzahl von anderen Berufen tätig. Dank Innovationskraft, Kreativität, neuen Berufen und besserer Mobilität konnte sich der wirtschaftliche Strukturwandel über Jahre allmählich den neuen Gegebenheiten anpassen. Die seinerzeit für die textile Produktion gebauten Häuser sind renoviert und umgenutzt worden. Die Gemeindestrassen sind so erhalten geblieben, wie sie einst gebaut wurden. Neue Quartiere, neue Bauten sind dazu gekommen. Im Inneren sind das Gesicht des Dorfes und seine Identität jedoch erhalten geblieben. Somit wären wir am Ende unseres kleinen Rundgangs. Wir konnten Ihnen allerdings nur einen kleinen Ausschnitt zeigen. Ich lade Sie herzlich ein, Rehetobel weiter selbst zu erkunden. Suchen Sie versteckte Winkel, reden Sie mit den Rehetoblern und lernen Sie das Dorf kennen. Es ist eine Entdeckungsreise, die sich lohnt. Marcel Anderwert und ich bedanken uns für Ihre Aufmerksamkeit.

Marcel Andwert

Aus dem Rundgang entlassen wollen wir Sie mit einer musikalischen Kostbarkeit, dem Rehetobler Lied. Verweilen Sie also noch kurz und lauschen Sie den Klängen und Texten eines ganz besonderen Dorfes. «Jeanne Devos und ich wünsched ihne alles Gueti und chömed bald wieder is Rechtobel».

s ' Rechtobel, Lied von Hans Sonderegger und Hans Schläpfer

  1. Os d’im Name chönntme schlüsse,
    liggischt ime Tobel onn,
    ond doch tuet im Ländli gnüsse
    chuum e Gmänd e so viel Sonn.
  2. Grad so sonnig wie die Geget,
    sönd i öserem Dorf o d'Lüt,
    Gott hed sü met Frohmuet gsegnet
    wo viel Glanz den Auge giid.
  3. Tick häd’s zwor halt au ggee Zitte
    wo ofs Völkli trockt hend schwer.
    D’Sticker, d’Weber hend rääss glette,
    wenn’s nüd kette hed im Chär.
  4. Öseri Lüüt sönd gwöhnt as Werche,
    und au froh, wenn Churgescht chönd,
    wo bi n’üüs si gern tönd stärche,
    ond e Lob denn zrogg no lönd.