Transkript: #8 Dorfzentrum und soziales Leben

Jeanne Devos

Der Dorfbrunnen symbolisiert das ehemalige Dorfzentrum. Der Postillion, geschaffen vom bekannten St. Galler Künstler Max Oertli, erinnert an die Postkutsche, die von 1871 bis 1920 Rehetobel mit St. Gallen verbunden hat. Bis 1990 befanden sich die Postautohaltestelle Dorf und die Poststelle im Haus mit den beiden Türen auf einem leicht erhöhten Sockel noch an diesem Platz. Fällt Ihnen auch auf, dass dieses Haus, im Vergleich zu den anderen Häusern ein überhohes Sockelgeschoss aufweist? Dieses wurde 1903 im Stile der Neurenaissance erhöht, um darin das Postbüro einzurichten. Zusammen mit dem Restaurant «Zur Post» und der ehemaligen Weinhandlung «Lutz» im Haus links und den beiden weiteren Wohnhäusern, bildet diese typische Häuserzeile mit der atemberaubenden Aussicht auf den Alpstein das ursprüngliche Dorfzentrum, den «Postplatz». Beim ersten Dorfbrand von 1796 wurden die Häuser, vor denen Sie stehen, zerstört und in ähnlichem Stil als Bürgerhäuser wieder aufgebaut. Das Haus ganz links vis-à-vis der Kirche war ursprünglich als Stadel an das Haus «Zur Hoffnung» Nr. 1 angebaut. Dieses wurde um 1820 zu dem heutigen Gebäude umgebaut. Bis 1894 wurde darin eine Weberei betrieben. Das Haus Nr. 3 mit seinen grossen Abwurfdächern über den Fensterbändern diente als Gasthaus und Bäckerei «Zum Hirschen». Im Haus daneben mit den beiden Eingangstüren befand sich bis 1990 noch die Poststelle. Das Haus rechts der ehemaligen Post wurde als Bauernhaus mit Webkeller und angebautem Stall errichtet. Zum Betrieb gehörte das Land östlich davon. 1865 musste für den Neubau der Hauptstrasse zum Kaien Land abgetreten werden. So wurde der Landwirtschaftsbetrieb verkleinert. Als 1881 die Weberei aufgegeben wurde, richtete man in diesen Räumlichkeiten im Erdgeschoss das Postbüro und das Telegrafenamt ein. Ab 1919 ist die Speisewirtschaft «zur Post» dokumentiert. Für ermüdete Postkutschenpferde diente der noch vorhandene Pferdestall. Die vielen Stickereien und Webereien führten auch zu einer vielfältigen Bevölkerung. Sie traf sich im Wirtshaus zum Tanz oder auf dem Sportplatz für Festlichkeiten. Vor allem die italienischen Arbeitskräfte, die dank des Stickereibooms den Weg nach Rehetobel gefunden hatten, bestimmten das soziale Leben im Dorf mit. Der aus der Gegend von Varese stammende Vittorio Paganini arbeitete lange Jahre in der Webereieifirma Volkart als Kartenschläger für die Herstellung der Lochkarten. Noch heute erinnert er sich an seine erste Ankunft in Rehetobel:

Mit dem Zug bin ich nach St. Gallen gefahren, dort hat mich Frau Volkart erwartet. Auf der Fahrt nach Rehetobel, beim Schaugenhof, zeigte sie auf einen Kirchturm, den man in der Ferne erblickte. Dort war Rehetobel. Im Dorf angekommen teilte sie mir mit: »Du musst lernen Danke, Bitte und Grüezi zu sagen. Grüezi, das ist ganz wichtig in Rehetobel!» Bis heute habe ich nicht vergessen, dass ich Grüezi sagen soll.

Von Beginn an war er fasziniert von der besonderen Ausstrahlung des Dorfes. Wie viele seiner Landsleute gelang es ihm, in Rehetobel heimisch zu werden.

Zuerst habe ich an der Migros Klubschule in St. Gallen Deutsch gelernt. Ich habe immer gedacht, dass ich ein wenig verstehen soll, was die Leute sagen und dann auch antworten könnte, falls sie mich etwas fragen. So bin ich auch von Anfang an in den Turnverein und zur Feuerwehr gegangen. Ich musste mich dazu nicht einmal aufraffen, es hat mir einfach gefallen. Bis heute bereue ich das nicht. Ich wollte am Dorfleben teilhaben und fand, dass dies für meine Integration wichtig sei. Nicht alle konnten sich integrieren, sie hatten auch andere Pläne als ich. Ich hatte nie Heimweh gehabt und spürte, dass ich hierbleiben wollte. Ich gründete eine Familie und bin einfach gern hier. 1972 habe ich mich sogar einbürgern lassen.

Auch die Rehetobler haben die Impulse vom Ausland geschätzt. Für den Weber Walter Volkart und seine Frau Dora waren die italienischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein Gewinn für die Fabrik und das Zusammenleben im Dorf:

Sie waren sehr, sehr lieb und auch gewillt zu arbeiten. Sie arbeiteten gern und ihre Fröhlichkeit tat der eher etwas steifen Art und der Zurückgezogenheit der Bewohner des Dorfes einfach gut. Sie fühlten sich wohl und hatten sich gut integriert.

Wir begeben uns jetzt in Richtung Kirche, überqueren die Hauptstrasse und laufen die dortige Strasse hinunter. Beim Ende des Spielplatzes im Pfarrhausgarten gehen Sie zwei Häuser weiter zum Haus Nr. 16.