Transkript: #7 Innovation und Stickereikrisen

1901 wurde die Firma Rohner & Tobler als Unternehmen für Langwaren- und Nollenstickerei gegründet. 1903 konnte das kurz zuvor von Emil Tanner als typischer Jahrhundertwendebau mit Sticklokal und Wohnungen erstellte Haus erworben werden. Markant prägt das auffällige, langgezogene Doppelhaus mit seinen dominanten «Seitentürmen» und den hübsch eingefassten Balkonen der Obergeschosse das Quartierbild. Beachten Sie auch die an diesem Haus angebrachten, wie Stickereien wirkenden Holzverzierungen. 1906 trennten sich die beiden Geschäftsinhaber und beschritten ihre eigenen Wege. Ferdinand Tobler führte den Betrieb für farbige Stickereien weiter und gliederte im Lauf der Jahre in Rehetobel weitere Gebäude mit Sticklokal und Wohnungen seinem Produktionsbetrieb an: Den «Kamelhof», den wir kennengelernt haben, das grosse Gebäude, an dem wir soeben vorbeigegangen sind, zwei Bauten an der Schulstrasse, in denen Handstickmaschinen standen und das grosse Doppelhaus an der Oberstrasse. Das Stammhaus, vor dem Sie jetzt stehen, diente als Geschäftshaus zum Ausrüsten, für den Verkauf und als Büro. Die Firma beschäftigte in der besten Zeit über 90 Mitarbeitende. Die Stickereikrise zwang auch hier, sich neu zu orientieren: Um 1929 wurde der ganze Betrieb auf die Herstellung von Strümpfen aus Kunstseide und Wolle sowie Socken umgestellt. Dabei wurden Rundstrick-, Wirk- und Kettelmaschinen angeschafft. Auch hier dienten die Häuser sowohl wohnlichen wie wirtschaftlichen Zwecken. Elsa Nänny, die älteste Tochter des Strumpf-Fabrikanten Willy Tobler, schildert:

In unserem Haus an der Heidenerstrasse 16 gab es zwei Säle, die Maschinen waren zuunterst. Dort hat es mich immer ein wenig gefürchtet, denn es war ölig und ich hatte Angst gehabt, unter die Maschinen zu rutschen und dort stecken zu bleiben. Dahinter befand sich die Heizung und im oberen Saal war die Kettlerei. Dort hat man die Strumpfrohlinge gekettelt, genäht, verlesen und kontrolliert. Wenn man eine Fallmasche entdeckte, musst man den Fehler ausbessern. Von dort hat man sie in die Färberei geliefert. Von der Färberei sind sie, glaube ich, in Zwanzigerbündel zurückgekommen. Erst später hat man Dutzendbündel gemacht.

Die Fabriklokale waren fest in der Hand des Patrons. Nur so konnte die nötige Qualität sichergestellt werden. Für die Angestellten war dies nicht immer einfach. Ferdinand Tobler, Elsa Nännys Grossvater führte seine Fabrik mit strenger Hand. Elsa erinnert sich an die folgende Szene:

Ich war viel im Geschäft gewesen, vor allem aber in der Spedition, im Stickereihaus aber weniger. Es hatte dort so gut nach Garn gerochen, darum bin ich gern dort gewesen. Einmal stand ich neben der Spulmaschine, wo Frau Hohl arbeitete. Da kam gerade mein Grosspapa vorbei, der täglich zweimal eine Runde durch die Säle machte. Frau Hohl hatte mir eben gezeigt, wie man den Weberknopf beim Spulen macht. Da riss gerade wieder der Faden und Frau Hohl war so verdattert wegen der Anwesenheit des Patrons, dass sie unfähig war, den Knopf zu machen. Mein Grossvater stand einfach da und schaute nur. Ich habe es ihr dann mit einer Fingerbewegung gezeigt. Sie bedankte sich bei mir und sagte, es sei ihr einfach nicht mehr in den Sinn gekommen. Das ist mir natürlich schon auch in Erinnerung geblieben.

Durch die starke Konkurrenz amerikanischer Nylonstrümpfe sah sich die Firma Tobler später zur nochmaligen Wandlung gezwungen. Seit 1982 hat sich die jetzige Firma im Stammhaus auf die Herstellung von Spitalartikeln spezialisiert. Dank Nischenprodukten konnte die Firma überleben und bietet bis zu sechs Arbeitsplätze an. Heute befindet sich das Geschäft samt Produktion im modernen Neubau.

Jeanne Devos

Die einseitige Ausrichtung auf die Produktion von Textilien hat das Leben in der Gemeinde nicht immer einfach gemacht. Viele Betriebe mussten wegen fehlendem Absatz oder fehlender Nachfolge geschlossen werden. Viele Arbeitsplätze im Dorf gingen verloren und die Einwohnerzahl Rehetobels sank. Überleben konnten nur wenige und diese mussten mit Innovationen und ständigen Anpassungen immer wieder neue Nischen im Markt finden. Die Firma Jakob Volkart hat lange Jahre feinsten Stoff in Rehetobel hergestellt. Walter, Sohn des Firmengründers, weiss noch genau, wann ihm klar wurde, dass die Textilwirtschaft im Niedergang begriffen war:

Der beinahe unglaubliche Grund, warum wir schliesslich aufgehört haben, war folgender: Ich war an einer Messe und habe einen Schal gekauft, er kam vermutlich aus China. Er war so günstig, dass wir für diesen Preis nicht einmal das Herstellungsmaterial hätten kaufen können! Dabei produzierten wir in jener Zeit gerade sehr gut. Ich ging dann zu meinem Vater und sagte ihm: «Textilprodukte werden jetzt aus Kostengründen im Ausland hergestellt.» Zuerst war Portugal darin sehr stark gewesen, dann verlegte man die Produktion immer weiter weg, heute bis nach Thailand, dann nach Singapur und interessanterweise nun auch nach Südkorea. Es wäre sinnlos gewesen, hier noch zu investieren. Die Produktion wäre kontinuierlich zurück gegangen. Und ein weiterer Grund war, dass unsere Stärke die Vorhangproduktion war. Und wer hat heutzutage noch Vorhänge?!

Folgen Sie mir nun zum ursprünglichen Zentrum des Dorfes, indem Sie der vor Ihnen liegenden Strasse aufwärts gehend folgen. Oben nehmen Sie die Treppe auf die Hauptstrasse und überqueren sie. Dort begeben Sie sich auf den ehemaligen Dorfplatz mit dem Brunnen, auf dem der Postillion steht. Sie befinden sich jetzt beim Standort 8.