Transkript: #5 Funktionen der Stickerhäuser und das Gewerbe
Geräusch von Stickmaschinen
Sie sind nun an einigen Stickerhäusern vorbei spaziert. Haben Sie das monotone Auf und Ab der Sticknadeln gehört? Sie befinden sich auf der Oberstrasse. Gebaut wurde sie um 1907, um das Gebiet östlich des Zentrums für die Stickerei zu erschliessen. Dies zeigt sich an der Bauweise der Häuser: ein annähernd quadratischer Grundriss, ein hohes massives Sockelgeschoss als Lokal für die Stickmaschinen und darüber zwei Wohngeschosse in Riegelkonstruktion, ursprünglich mit Holzschindeln verkleidet und mit einem Walmdach und Kreuzgiebel versehen. Die Einzelfenster konnten mit Jalousieläden geschlossen werden. Diese architektonische Zweckmässigkeit war in jener Zeit weit verbreitet und prägte den Charakter einiger Quartiere in Rehetobel. In den Häusern wurde aber nicht nur gestickt.
Marcel Anderwert
Ja, ich kann mich an die Erzählungen meiner Mutter noch gut erinnern; da waren der Veloladen Knechtle, der Spezereiladen von Frau Vögeli, wo die Schulkinder nach der Schule ihre Süssigkeiten gekauft haben, eine Pension mit Elektrobädern und der Hafner Longatti. Bei der Oberstrasse ist anzunehmen, dass sie nach einer Idee eines Bauhandwerkers bebaut wurde. Die Häuser sind alle in der gleichen Art, eng an die Strasse und mit einem kleinen seitlichen Abstand gebaut. Die Grundstücke, auf denen sie stehen sind klein. Oberhalb und unterhalb der Strasse sind sie seitlich gegeneinander versetzt, so dass immer auch die Aussicht und das Licht gewahrt blieben. Ein gutes Beispiel für die heute geforderte verdichtete Bauweise. Rechts neben der Treppe zum Schulhausbrunnen steht das «Laubsägelihus». Man nannte dieses Haus wohl so, weil es ursprünglich mit reich verzierten Fensterdächli, ausgesägten Stützkonstruktionen und Balkonbrüstungen versehen war. Die Holzverzierungen, die wie Stickereien wirkten, sollten nach aussen vermitteln, was in dem Haus betrieben wurde. Hier war die Stickerei von Hans Lendenmann eingerichtet. Er hatte bedruckte und farbig gestaltete Glückwunsch-, Trauer- und Erinnerungskarten mit Stickereien beklebt. Diese Art der Verwendung von Stickereien ist Mitte des 20. Jahrhunderts aus der Mode gekommen und der Betrieb musste schliessen. Heute sind in dem ehemaligen Lokal zwei Wohnungen eingebaut.
Jeanne Devos
Sind Ihnen übrigens die 5 Häuser oberhalb der Wiese aufgefallen? Es handelt sich um fünf identische Stickerhöckli, die im Jahre 1905 von Baumeister Emil Tanner erstellt wurden. Sie sind mit einem massiven Kellergeschoss und darüber liegender Riegelkonstruktion, verkleidet mit Holzschindeln, extra für Stickerfamilien gebaut worden. In den Kellern standen die Stickmaschinen. Gleiche Häuser befinden sich eines an der Oberstrasse vis-à-vis von Ihnen und drei an der Schulstrasse. Das äusserste Haus war im Besitz von Schuhmacher Fischer. Heute unvorstellbar, dass in so einem Häuschen eine 7-köpfige Familie gelebt hat. In dieser Zeit diente oft das gesamte Wohnhaus der textilen Produktion. Erna Fischer, die Tochter des Stickers, der in diesem Haus gearbeitet hat, erinnert sich:
Bei uns im Haus hat der Vater zuerst eine Pantograph-Maschine gehabt und später dann eine Schifflistickmaschine. Er hat 1920 geheiratet und 1924 wurde für diese Maschine ein Anbau an das Häuschen erstellt. Und so, seit wir geboren sind, sind wir mit dem Rattern der Maschine aufgewachsen, das war ganz normal gewesen. Ja, so war der Familienalltag. Die ganze Familie hat mithelfen müssen beim Schifflisticken. Meine Mutter hat mir noch erzählt, dass ihre Mutter ihr gesagt habe: Heirate ja nie einen Sticker! Bist deiner Lebtag lang ein geplagtes Weib! Aber meine Mutter antwortete: «Weißt du, es ist ganz anders, er ist ein Schifflisticker!» – Der Grossvater war ja noch Handsticker gewesen, und meine Mutter hat dann gemerkt, dass das Leben als Schifflisticker doch nicht so anders war. Auch da hat nämlich die ganze Familie mithelfen müssen. Sie hat immer nachgestickt. Unsere Stube ist die Nachstickstube gewesen mit der Nähmaschine und dem Tisch, den man für den Stoff benötigt hat. Wenn der Vater Hilfe brauchte, so klopfte er an der Wand und dann ist die Mutter ins Sticklokal gegangen um zu helfen. Wir Kinder, sobald wir geschickt genug waren, konnten schon bald Spulen wegnehmen oder einlegen, Schiffli öffnen und füllen und die «Stückli» (den bestickten Stoff) einmal hierhin, einmal dorthin liefern. Die grösseren Kinder transportierten die Ware mit einem Hand- oder Leiterwagen zum Fabrikanten oder zum «Fädle». Auch neuen Stoff holten sie. Das war also ein normaler Familienalltag gewesen.
Marcel Anderwert
Wenn Sie jetzt die vor Ihnen liegende Treppe zum Schulhausbrunnen hinunter gehen, finden Sie auf der rechten Seite des Brunnens ein weiteres Stickerhaus mit einem ostseitigen Anbau mit Terrasse. Es wurde 1901 erbaut und als Sticklokal genutzt. Jakob Schläpfer jun. zog 1947 in das Haus ein und stickte auf seinem Schifflistickautomaten für die Firmen Forster Willi in St. Gallen, Nello AG in Herisau, Schürpf in St. Gallen und H.W. Giger in Flawil. Neben Vorhangstoffen stickte er vor allem modische Stoffe für Abend- und Hochzeitskleider sowie Blusen. Der Höhepunkt seiner Tätigkeit war 1947, als er für die Firma Forster Willi den Stoff für ein Kleid der englischen Königin Elisabeth besticken konnte. Das widerlegt das hartnäckige Gerücht, dass in Rehetobel nur minderwertige Ware produziert worden sei.
Jeanne Devos
Wenn Sie der Hauptstrasse entlang in Richtung Kirche schauen, sehen Sie linkerhand die vier identischen Häuser. Zwei dienten dem ehemaligen Gasthaus Löwen, die nächsten zwei der Firma Walser-Straub AG. Sie sind ein Beispiel dafür, dass in der Gemeinde nicht nur produziert, sondern auch selbständig Handel betrieben wurde. 1927 gründete Jakob Walser mit einer Bügelmaschine und einer Legemaschine eine Ausrüsterei. Die Textilwaren wurden für den Versand nach Indien vorbereitet. Wegen eines Handelsboykotts konnte dieses Geschäft nicht weitergeführt werden. So begann man mit dem Weben von Hand- und Küchentüchern, Hemdenstoffen und Tischwäsche. Mit der Übergabe des Geschäfts an seinen Sohn Willi Walser im Jahr 1942 wurde die eigene Weberei aufgegeben und auf Heimarbeit umgestellt. Gleichzeitig wurde die Handelstätigkeit ausgebaut. 1972 übernahm sein Schwiegersohn Rolf Degen die Geschäftsleitung und konzentrierte das Geschäft auf den Direktverkauf mit Aussendienstnetz für Heimtextilien und Berufskleidung. Später kam noch ein Versandhandel dazu. Im Jahr 2000 wurde das Geschäft aufgelöst. Überqueren Sie jetzt auf dem Fussgängerstreifen die Strasse und gehen an der Bushaltestelle vorbei bis zur Abzweigung, wo die Schulstrasse hinunterführt. Sie finden dort den Standort 6.